Digitalisierung im Kontext: Neue Fähigkeiten und Kompetenzen
Das Gesundheitswesen entwickelt sich immer weiter, jedoch nicht nur durch Innovation und neue Erkenntnisse im medizinischen Bereich, sondern auch durch äußere Rahmenbedingungen. Hierzu zählen beispielsweise ein veränderter medizinischer Bedarf und eine medizinische Versorgung, eingebettet in gesetzliche Vorgaben. Auch der technologische und technische Fortschritt ist eine relevante Einflussgröße in diesem Zusammenhang.
In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit der Frage, welche wesentliche Rolle digitale Anwendungen im medizinischen Alltag spielen können und welche Anforderungen dies für medizinisches Fachpersonal und Ärzte gleichermaßen mit sich bringt.
Künstliche Intelligenz ist im medizinischen Bereich auf dem Vormarsch
Aktuell ist die Digitalisierung im medizinischen Bereich auf dem Vormarsch. So eröffnet beispielsweise die Künstliche Intelligenz vollkommen neue Perspektiven bei der Gewinnung und Verarbeitung von Daten, hinsichtlich Diagnostik und Therapie. Neue Tools zur Analyse und zur Messung erlauben eine präzisere und kontinuierliche Patientenüberwachung und Patientenbegleitung. Verschiedene Kommunikationsanwendungen erweitern und optimieren die Möglichkeiten der Begleitung von Patienten. Neue Technologien werfen jedoch stets neue Fragen zu den Aufgaben der unterschiedlichen Berufe im Gesundheitswesen sowie hinsichtlich rechtlichen und ethischen Voraussetzungen auf.
Kompetenz bezüglich Digitalisierung in der Medizin erforderlich – für Ärzte und medizinisches Fachpersonal
Diese Auswahl aktueller Trends lässt erkennen, welche Veränderungen uns im medizinischen Bereich bevorstehen. Dadurch besteht natürlich die Gefahr, einerseits den Überblick über die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung zu verlieren und andererseits die nötige Distanz nicht einhalten zu können, um potentielle Risiken und Probleme besser einschätzen zu können. In diesem Zusammenhang muss man jedoch nicht nur an Patienten denken, sondern vor allem auch an Angehörige medizinischer Fachberufe. Künftig ist nicht nur die medizinische Fachkompetenz relevant, sondern ebenso grundlegende Kenntnisse über die technischen Möglichkeiten im eigenen Fachgebiet. Beide Komponenten werden also wesentliche Bausteine darstellen, um den medizinischen Beruf kompetent ausüben zu können.
Welche Anforderungen bestehen an die medizinischen Fachangestellten?
Bis heute sind medizinische Fachangestellte Mitarbeiter, die unverzichtbar in jeder Arztpraxis sind. Immerhin garantieren sie regelmäßig einen reibungslosen Betriebsablauf. Bisher gründete sich das Anforderungsprofil für medizinische Fachangestellte auf zwei Säulen: der verwaltungstechnischen und der medizinischen. Einerseits ist es wichtig, ärztliches Personal bei den anfallenden medizinischen Aufgaben zu unterstützen, kleinere Untersuchungen an Patienten durchzuführen, wie beispielsweise EKG schreiben oder Blutdruck messen oder Patienten auf Untersuchungen vorzubereiten. Andererseits sind medizinische Fachangestellte für wesentliche Aufgaben im Bereich Praxismanagement zuständig, koordinieren und planen also Patiententermine, organisieren einen reibungslosen Ablauf der Sprechstunden und sind für die Verwaltung von Patientenunterlagen verantwortlich. Damit bilden sie eine wichtige Schnittstelle zwischen Patienten und Arzt und werden daher auch hinsichtlich Digitalisierung der Praxen eine zentrale Rolle spielen.
Erweiterung der digitalen Kompetenzen wichtig
Bezüglich der Digitalisierung im Bereich des Gesundheitswesens ist es wichtig, die jeweiligen Kompetenzen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Das Anforderungsprofil medizinischer Fachangestellter muss sich um digitalisierte und technische Grundlagen erweitern. Nur auf diese Weise lässt sich gewährleisten, neuen digitalen Herausforderungen, beispielsweise durch neue Praxissysteme, digitale Patientenakten oder telemedizinische Anwendungen gerecht zu werden. Hierauf wird im weiteren Verlauf des Artikels noch näher eingegangen.
Erste Schritte sind gemacht
Um den digitalen Anforderungen gerecht werden zu können, hat die Bundesärztekammer bereits Anfang 2019 ein Muster-Fortbildungskurscurriculum mit dem Titel „Elektronische Patientenkommunikation und Telematik“ entwickelt. Wesentliche Ziele dieser Fortbildung sind eine Erweiterung und Vertiefung von Fertigkeiten und Wissen für medizinische Fachangestellte im Bereich der Digitalisierung. Nach absolvierter Fortbildung sollen medizinische Angestellte Ärzte beim Einsatz von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützen.
Die Fortbildung der Bundesärztekammer ist unterteilt in vier Module:
- Datensicherheit und Datenschutz
- Kommunikations- und Informationstechnologie
- telemedizinische Anwendungen
- telemedizinische Grundlagen
Mit dieser Fortbildung soll sich der Kompetenzbereich medizinischer Fachangestellter deutlich erweitern und Ärzte bei der Planung sowie dem Umgang mit moderner Kommunikations- und Informationstechnologie unterstützen.
Mehr Kompetenzen bringen eine selbstständigere Arbeitsweise mit sich
Die Folge der umfangreicheren Kompetenzen medizinischer Fachangestellter im Bereich der Digitalisierung wird zu einer selbstständigeren und emanzipierteren Arbeitsweise der Angestellten führen. Zudem müssen sie stärker als bisher in betriebliche Planungen einbezogen werden. Im Idealfall arbeiten medizinische Fachangestellte dann mit Ärzten auf Augenhöhe, bei der es zu gemeinsamen Entscheidungen hinsichtlich der digitalen Ausrichtung der Praxis kommen wird.
Zwölf Thesen zur Zukunft der Medizin
Im Rahmen des Ausschusses „Digitalisierung und Strategien im Gesundheitswesen“ hat die Ärztekammer Hamburg im Jahr 2018 zwölf fundamentale Thesen zur Zukunft der Medizin entwickelt. In den folgenden Abschnitten sehen wir uns diese etwas näher an.
1. Radikale Veränderung des Gesundheitswesens durch Digitalisierung
Auf der einen Seite sind durch die Digitalisierung eine bessere Vernetzung von Praxen und Kliniken sowie neue Behandlungsmöglichkeiten und Diagnosemöglichkeiten zu erwarten. Auf der anderen Seite sehen sich Ärzte mit dem Verlust ihrer Behandlungshoheit konfrontiert.
2. Fernbehandlung ist keine Utopie mehr
Telemedizinische Anwendungen führen zu einer besseren Verfügbarkeit von Expertenwissen sowie zu einer leichteren Vergleichbarkeit von Behandlungsmöglichkeiten.
3. Patienten möchten digitale Zusatzleistungen in Anspruch nehmen
Je mehr die Digitalisierung im medizinischen Sektor Einzug hält, umso mehr werden Patienten digitale Zusatzleistungen einfordern und die Möglichkeit dieser Zusatzleistungen auch von ihrer Arztwahl abhängig machen.
4. Künstliche Intelligenz als Unterstützung und nicht als Ersatz
Ärzte bleiben natürlich weiterhin souverän in ihrer Diagnose- und Behandlungshoheit. Künstliche Intelligenz ist daher als unterstützende Maßnahme und nicht als Ersatz klassischer medizinischer Anwendungen zu verstehen.
5. Ausbau ärztlicher Kompetenzen in sämtlichen Bereichen der Digitalisierung
Ärzte müssen weiterhin die ersten Ansprechpartner für Patienten bleiben. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, ärztliche Kompetenzen in sämtlichen Bereichen der Digitalisierung nachhaltig zu fördern und auszubauen.
6. Digitale Medizin als Pflichtveranstaltung für Medizinstudenten
Damit angehende Ärzte sämtliche Kompetenzen erhalten, die im Zusammenhang mit digitaler Medizin relevant sind, sollten diese fester Bestandteil der Lehrpläne im Medizinstudium sein.
7. Medizinische Apps sind auf dem Vormarsch
Apps rund um medizinische Themen können zu einer verstärkten Gesundheitsorientierung der Menschen führen. Es ist davon auszugehen, dass Prävention im Gesundheitsmarkt verstärkt an Bedeutung gewinnen wird.
8. Gute Konzepte zum Datenschutz sind erforderlich
Um Gefahren für Datenmissbrauch oder Verlust von Datensouveränität ausreichend zu begegnen, sind gute Konzepte zum Datenschutz erforderlich.
9. Mündige und gut informierte Patienten als Folge digitaler Anwendungen
Stehen Informationen zu medizinischen Themen digital zur Verfügung, führt dies zu mündigeren Patienten. Umgekehrt kann die Vielzahl an zur Verfügung stehenden Informationen und Daten zu einer Verunsicherung führen und eine Erhöhung des professionellen Beratungsaufwands nötig machen.
10. Beschleunigung der Kommerzialisierung im Gesundheitswesen
Digitalisierung im medizinischen Bereich kann zu einer verstärkten Kommerzialisierung gesundheitlicher Themen führen, was beispielsweise auch Firmen und Berufsgruppen ohne medizinischen Hintergrund die Tore zum Gesundheitsmarkt und der Patientenversorgung öffnet. Hier sehen sich Ärzte damit konfrontiert, den digitalen Wandel zum Wohle der Patienten sowie deren verbesserter Versorgung zu gestalten.
11. Digitales Gesundheitswesen stellt zahlreiche Daten zur Verfügung
Digitalisierung im Gesundheitswesen erhöht die Menge und Qualität an gesundheitlichen Daten. Im Rahmen einer Datenspende seitens der Patienten können diese in anonymisierter Form für die Forschung zur Verfügung gestellt werden.
12. Freiwilligkeit für digitale Anwendungen
Patienten, die auf die Nutzung digitaler Anwendungen verzichten möchten, dürfen keine Nachteile bei der gesundheitlichen Versorgung erfahren.
Ein Arzt bleibt auch in Zukunft ein Arzt
Natürlich sollte man von (angehenden) Ärzten nicht erwarten, sich fundiertes Wissen in Sachen Programmierung digitaler Anwendungen im medizinischen Bereich anzueignen. Es geht vielmehr darum, den Nutzen solcher Anwendungen für die Zusammenarbeit mit dem Patienten zu erkennen und beurteilen zu können. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, indem der Arzt Kenntnisse über die Funktionsweise einer gesundheitlichen App hat, die für seine Patienten von Nutzen sein können. Er sollte das Einsatzgebiet sowie Vor- und Nachteile verschiedener Anwendungen beurteilen können. Seine eigentliche ärztliche Kompetenz besteht in diesem Zusammenhang also in der Bewertung des jeweiligen Produktes hinsichtlich des Nutzens und der Vorteile für den jeweiligen Patienten. Diese wichtige Kompetenz sollte bereits bei der Ausbildung angehender Ärzte eine Rolle spielen. Hierauf wird im nächsten Abschnitt noch näher eingegangen werden.
Die Ausbildung im medizinischen Bereich im Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung
In den vergangenen Jahren waren große Entwicklungen hinsichtlich des digitalen Fortschritts im Gesundheitswesen zu beobachten. Daher sollten Ärzte während ihres Medizinstudiums auf diesen Wandel vorbereitet werden. Allerdings zeigt die Realität, dass sich die Lehre nur sehr gemächlich auf diese Entwicklungen zubewegt. Verschiedene Umfragen unter Medizinstudenten deutschland- und europaweit ergeben, dass diese kaum über digitale Kompetenzen im medizinischen Bereich verfügen. Die Notwendigkeit, Lehrinhalte rund um die Digitalisierung in der Medizin anzubieten, haben jedoch einige medizinische Fakultäten erkannt und Lehrveranstaltungen eingeführt, die als Vorlage für viele andere Fakultäten von Nutzen sein können.
Erste Schritte im Bereich Digitalisierung in der Medizin im Studium
Auch wenn bereits mehrere Universitäten Lehrveranstaltungen zur Vermittlung digitaler Kompetenzen anbieten, haben diese häufig lediglich Wahlpflichtcharakter. Studierende erhalten im Rahmen von Kursen, die zum Teil lediglich eine Woche dauern, erste Einblicke in den kompletten Bereich rund um die Digitalisierung in der Medizin. So entstand in Mainz eines der ersten Wahlfächer mit dem Titel „Medizin im digitalen Zeitalter“. Studierende haben hierbei innerhalb einer Woche die Möglichkeit, mit Referenten aus den Bereichen Datenschutz und Informatik über Datenmedizin oder Gesundheitsanwendungen zu diskutieren. Auch sollen sie während dieses kurzen Seminars Gesundheitsanwendungen selbst ausprobieren.
Wissen um Digitalisierung in der Medizin muss ein fester Bestandteil in der Ausbildung angehender Ärzte sein
Abgesehen von Wahlpflichtfächern bieten bisher nur vergleichsweise wenige Fakultäten im Pflichtcurriculum die Vermittlung digitaler Kompetenzen an. Bisher ist daher festzuhalten, dass sich die Vermittlung digitaler Kompetenzen in der Ausbildung angehender Ärzte noch in den Kinderschuhen befindet, wenngleich es auch immer mehr Leuchtturmprojekte gibt. Hierbei ist es nun wichtig, diese immer mehr Studenten zugänglich zu machen und ins Pflichtcurriculum zu überführen, damit die Digitalisierung im medizinischen Bereich jungen Ärzten bereits während des Studiums in Fleisch und Blut übergeht.
Fazit: In vielen medizinischen Fakultäten führt das Wissen um digitale Anwendungen und Inhalte nach wie vor ein Schattendasein. Dies muss sich in Zukunft ändern, damit angehende Ärzte nicht schon während ihrer Ausbildung den Anschluss an entsprechende Inhalte verlieren. Die Möglichkeiten, die digitale Anwendungen bezüglich der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient bieten, sind ohne Frage riesig und können von großem Nutzen für die Diagnosestellung und die Therapie von Erkrankungen sowie für die gesundheitliche Prävention sein. Auch medizinische Fachangestellte dürfen ihre Augen vor digitalen Anwendungen nicht verschließen, sondern sie als wesentlichen Baustein in ihrem beruflichen Alltag annehmen und damit weiterhin als wichtiges Bindeglied zwischen Arzt und Patient im medizinischen Alltag fungieren.