Interview mit Sami Gaber

Veröffentlicht: 18. Februar 2021Kategorien: Medizin der Zukunft

Sami Gaber ist ein mutiger Arzt. Er übernahm die Praxis seines Vaters und hat früh erkannt, dass er mit der traditionellen Praxisführung seinem Anspruch der optimalen Patientenversorgung nicht mehr gerecht werden konnte. Also suchte er nach Lösungen und ließ organisatorisch in seiner Praxis keinen Stein auf dem anderen. Er entwickelte seine Vorstellung der Arztpraxis der Zukunft ohne Kompromisse und seine PatientInnen ob jung oder alt sind begeistert. In dem spannenden Interview sprechen wir über den Entwicklungsprozess und die Ergebnisse. Seine Visionen, seine Herangehensweise und die Konsequenz der Umsetzungen haben mich total begeistert. Sami Gaber ist für mich ein echtes Vorbild der Digitalen Medizin, aber lesen sie selbst…

Was ist für Sie eine Digitale Arztpraxis?

Zur niedergelassenen Tätigkeit gehören verschiedene Bereiche die nicht unmittelbar mit Patientenversorgung zu tun haben. Für mich ist eine Arztpraxis wirklich digital, wenn alle Bereiche digitalisiert wurden. Der Wechsel zum papierlosen Arbeiten ist nur ein Anfang. Dann kann das Klemmbrett einem iPad weichen, Patienten sich an einem Terminal selbst anmelden, statt in Schlangen an der Anmeldung zu stehen und Termine online vereinbart werden. Um das möglich zu machen, müssen die technischen Grundvoraussetzungen stimmen. Ein stabiles Netzwerk für sichere, schnelle Verbindungen in und aus der Praxis, ein Arztinformationssystem (AIS), das sich der eigenen Arbeit anpassen lässt und Zugriff auf die Datenbank erlaubt und eine Cloud Telefonanlage die sich nahtlos integrieren lässt. Damit wird eine echte digitale Praxis möglich.

Was war für Sie der Anlass Ihre Praxis umzuorganisieren?

Nach drei Jahren als Jobsharing-Partner meines Vater habe ich seine Praxis übernommen. Dazu gehörten neben den Räumen auch das eingespielte Team und die veraltete Technik. Mit der Zeit erkannte ich limitierende Faktoren, die uns trotz optimierter Abläufe unser Potenzial nicht voll ausschöpfen ließen. Diese waren die begrenzten Möglichkeiten des Arztinformationssystems, eine problematische Integration medizinischer Geräte, eine fehleranfällige Telefonanlage und regelmäßige Rechnerausfälle. Dadurch bin ich mir u. a. der Abhängigkeit von Technikern verschiedener Anbieter bewusst geworden. Diese Erkenntnis und der begrenzte Raum waren der Anlass für einen radikalen Neuanfang. Nur so würden wir unser Potenzial auszuschöpfen und weiter wachsen können.

Wie lange hat dieser Prozess gedauert?

Wenn man sich für ein Arztinformationssystem entschieden hat, das den hohen Ansprüchen genügt, ist die Umstellung inklusive Schulung in einer Woche möglich. Dem gehen mehrere Monate Planung voraus, aber dann steht das System auf einem stabilen Fundament und ist nahezu wartungsfrei. Alles was darauf folgt, macht ehrlich gesagt Spaß und ist ein Prozess, der nie aufhören wird, denn unser Gesundheitssystem ist nicht statisch. Wir können z. B. Veränderungen im Abrechnungswesen unkompliziert sofort selbst integrieren und automatisieren. Ich hatte seit drei Jahren keinen Techniker mehr bei mir. Genau dafür haben wir die Voraussetzungen geschaffen.

Was war die größte Herausforderung im Laufe des Prozesses?

Tatsächlich ist Integration verschiedener medizinischer Geräte in das bestehende System mit dem größten Aufwand verbunden. In meiner Praxis finden sich neben Anbietern für die klassischen Geräte wie EKG, Sonographie und Lungenfunktion u. a. drei verschiedene Anbieter für das POCT Labor. Wir kommen auf insgesamt neun verschiedene Firmen, deren Geräte ins AIS integriert werden sollen. Optimalerweise so, dass sie aus dem System mit den Daten des Patienten programmiert werden und die Befunde zurück in die Kartei an die richtige Stelle gelangen. Einen Befund als PDF auszudrucken und einzuscannen oder, etwas besser, per Hand in die Kartei zu verschieben, ist ein Arbeitsschritt, der sich täglich sehr oft wiederholt und unnötig Zeit frisst. Kritisch wird es dann, wenn Updates für das Betriebssystem notwendig werden. Nicht jeder Hersteller garantiert rechtzeitig und kostenfrei Anpassungen, die nahtloses Weiterarbeiten möglich machen.

Wie haben Sie Ihr Personal auf die Veränderungen eingestellt?

Als mir klar wurde, dass ich dazu bereit bin, das AIS zu wechseln, habe ich mein Team von Anfang an in den Entscheidungsprozess involviert. Präsentationen neuer Software haben wir zusammen am Bildschirm oder bei Herstellern mit allen Mitarbeitern durchgeführt und anschließend diskutiert. Wir haben uns für ein Mac basiertes System entschieden. Das bedeutete für die meisten einen zusätzlichen Wechsel aus einem bekannten Windows basierten System. Wer hatte schon Erfahrung mit einem Mac oder iPhone? All diese Dinge spielten eine Rolle und wurden diskutiert und nicht diktiert. Inzwischen haben wir mehreren niedergelassenen Kollegen den Wechsel in die digitale Praxis ermöglicht und involvieren auch dort vom ersten Moment an das gesamte Team.

Sami Gaber beim Patientengespräch

Sami Gaber beim Patientengespräch

Was waren die ersten Patientenreaktionen?

Die Reaktionen waren durchweg positiv. Die meisten Veränderungen haben Patienten nicht zwangsläufig mit der Digitalisierung in Zusammenhang gebracht. Die Wartezeiten sind kürzer und unsere Praxis ist besser erreichbar. Das wurde möglich durch programmierte Ressourcenplanung, mit der Termine automatisiert und konfliktfrei vergeben werden und eine Cloud Telefonanlage, die eingehende Anrufe an Mitarbeiter im Homeoffice weiterleitet. Für die weniger technikaffinen Patienten gibt es keinen Zwang, das erweiterte Serviceangebot wie die Patientenapp oder die Anmeldung über unseren Terminal zu nutzen. Sie können sich weiterhin Befunde in gedruckter Form aushändigen lassen oder für ein Gespräch vorbeikommen statt, eine Videosprechstunde wahrzunehmen. Die interessierten Patienten haben sich sehr schnell an unsere Art der Arbeit gewöhnt. Es ist für sie Normalität geworden und die Ansprüche sind gewachsen. Ihnen wird erst bei Besuch anderer Praxen deutlich, dass wir mehr bieten als in der Branche üblich ist.

Was waren für Sie persönlich die wichtigsten Verbesserungen ihrer ärztlichen Arbeit?

Die gesamte Art der hausärztlichen Arbeit hat sich bei uns bedeutend verändert. Jeder einzelne Mitarbeiter in unserem großen Team weiß zu jedem Zeitpunkt, was als Nächstes zu tun ist. Das hat Ruhe und Struktur in die Arbeit gebracht. Viele ehemals manuelle Tätigkeiten wie das Eintragen von Abrechnungsziffern oder die Recherche nach fälligen Vorsorgeuntersuchungen finden automatisiert statt. Dazu erscheinen Vorschläge im AIS, die durch einen Klick bestätigt und eingetragen werden können. Das spart Zeit. Und unser neu aufgesetztes Netzwerk erlaubt eine sichere und schnelle Verbindung zu Mobilgeräten und Laptops außerhalb der Praxis. Wenn eine Internetverbindung besteht kann man überall arbeiten, als wäre man vor Ort. Das schafft Flexibilität. Mir erlaubt all das mich mehr auf meine ärztliche Tätigkeit zu konzentrieren.

Wie lange kann man als Arzt noch erfolgreich die Digitalisierung ignorieren?

Mehr Digitalisierung bedeutet mehr Patientensicherheit und eine bessere medizinische Versorgung. Das alleine erlaubt keine Ignoranz. Unsere Patienten haben den berechtigten Wunsch, Arztbesuche zu vereinfachen oder unnötige zu vermeiden. Wer geht gerne krank zum Arzt, wenn er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder ein Rezept auf das Handy gesendet bekommen kann. Von Kollegen, die wenige Jahre vor dem Ruhestand sind, höre ich immer wieder die Argumente: “Für mich lohnt sich das nicht mehr” oder “Ich will mich jetzt nicht noch mal umgewöhnen müssen” oder “Mein Team hat darauf keine Lust”. Ich denke, und ich sage das aus eigener Erfahrung, der Wechsel zur digitalen Praxis lohnt sich immer. Nur eine Woche Umstellung und Schulung sind notwendig, um ab sofort effizienter und entspannter zu arbeiten. Positiver Nebeneffekt: Die Chance, einen Nachfolger zu finden, steigt drastisch.

Was würden Sie Ihren Kollegen als erste Schritte zur digitalen Umorganisation empfehlen?

Im Laufe der Jahre habe ich viele erste Schritte hinter mir. Fremdsoftware zur online Terminvergabe oder zur digitalen Befundübermittlung zum Beispiel. Am Ende arbeitet man mit Einzellösungen, die für sich genommen zwar funktionieren, aber sich schlecht in ein bestehendes System integrieren lassen. Das mehr an Service für Patienten bedeutete kein weniger an Arbeit für uns. Im Gegenteil. Einer der ersten Schritte sollte sein, die Praxis systematisch zu analysieren: Welche Leistungen werden angeboten, wie lange dauern sie, welche Räume werden dafür benötigt, wie ist der Weg der Patienten durch die Praxis, wie funktioniert die Kommunikation im Team oder mit den Patienten. Einfach alles, was die tägliche Arbeit betrifft. Dann erkennt man Zeitfresser und Konflikte und kann gezielt nach Lösungen suchen.

Die Angebotsvielfalt digitaler Dienstleister wird langsam unüberschaubar. Wie findet man die richtigen Partner?

Ein guter Partner zeichnet sich dadurch aus, dass er alle Dienstleistungen, die zu einer Arztpraxis gehören, selber kennt und anbietet. Im besten Fall, weil er die ärztliche Expertise mitbringt. Wir waren es irgendwann Leid zu hören, was alles nicht geht und haben selbst eine Firma gegründet, die als Managed Service Provider genau diese Voraussetzungen erfüllt. Das Ziel ist immer die Prozessoptimierung. In keiner anderen Disziplin werden so viele Patienten mit so verschiedenen Behandlungsgründen in so kurzer Zeit gesehen wie in der Allgemeinmedizin. Das macht Digitalisierung unumgänglich. Die gute Nachricht: Es gibt alle Mittel, um echte Innovationen möglich zu machen. Geht nicht, gibt es nicht.

Was sind für Sie die wichtigsten Merkmale einer zukunftsorientierten patientenfreundlichen Arztpraxis? Ich freue mich auf angeregte Diskussionen mit Ihnen.

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Herzlichst Ihr Gerd Wirtz
www.facebook.com/Dr.Gerd.Wirtz

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