Smartphone statt Stethoskop?

Veröffentlicht: 23. April 2020Kategorien: Medizin der Zukunft

Interview mit dem Kardiologen Dr. Thomas Schramm

In diesen Tagen wird das medizinische Bild in der Öffentlichkeit von der Virologie geprägt. Darüber sollte man nicht vergessen, dass in Deutschland Herz-Kreislauf-Erkrankungen  die führende Todesursache sind und  insgesamt etwa 40 Prozent aller Sterbefälle verursachen.  Deshalb habe ich mich mit dem Kardiologen Dr. Thomas Schramm über digitale Entwicklungen in der Kardiologie unterhalten.

Er war viele Jahre am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule und Oberarzt für interventionelle Kardiologie in Köln. Somit war er in der Forschung immer ganz nah an sinnvollen Neuentwicklungen und hat diese Innovationsgedanken mit in seine kardiologische Praxis genommen.

Kardiologe Dr. Thomas Schramm

Kardiologe Dr. Thomas Schramm

Dem Smartphone sagt man nach, das es das Stethoskop des 21. Jahrhunderts wird. Haben Sie noch ein Stethoskop ;-)?

Ja, sogar zwei. Eines davon hat auch eine Batterie und kann eine Audiodatei speichern. Das Stethoskop wird für die klinische Untersuchung wichtig bleiben. Man damit schnell insbesondere hinsichtlich Herzklappenerkrankungen eine Verdachtsdiagnose stellen. Insbesondere der Hausarzt, der kein Echo zur Verfügung hat, braucht weiter ein Stethoskop. Das Smartphone wird aber dennoch gerade in der Telemedizin seine Funktionen erweitern.

Tragbare Sensorik findet gerade in der Kardiologie immer mehr Anwendung. Welche Entwicklungen halten Sie für besonders nützlich?

Nützlich sind vor allen die Entwicklungen der Smartphones oder Uhren, wo ein Gerät für die Sensorik genutzt wird, was jeder sowieso dabei hat. Im Rahmen der Prävention ist die Sensorik sehr hilfreich in der Motivation für regelmäßige körperliche Aktivität. Viele Patienten nutzen schon die verschiedenen angebotenen Funktionen oder Apps beginnende mit dem Schrittzähler.

Im Rahmen der Diagnostik ist die Entwicklung in der Rhythmus- bzw. EKG-Diagnostik sehr nützlich. Es gibt vielfältige Arten von nur zeitweise auftretenden Herzrhythmusstörungen, die wichtig zu diagnostizieren sind. Selbst in 24h-EKGs finden wir sie häufig nicht, da sie nur selten auftreten. Trotzdem können sie gefährlich sein oder wie das Vorhofflimmern zum Schlaganfall führen. Um die HRST richtig zu behandeln, müssen wir sie aber erstmal aufzeichnen.

EKG-Diagnostik

EKG-Diagnostik

Wie ist die Akzeptanz bei Patienten?

Viel besser als bei früher zusätzlichen Geräten. Das Smartphone hat jeder dabei. Auch die Präsentation von einfachen Dingen wie Schritte zählen wird sehr gut dargestellt (z.B wie viel Etagen ich heute gegangen bin. Wie der Kalorienverbrauch dadurch war etc.)

Bei vielen Sensoren kann nicht nur der behandelnde Arzt sondern auch der Patient in Echtzeit die Daten abrufen. Macht ihn das eher nervös oder kann es zu verbesserter Compliance führen?

Es gibt sicherlich Menschen, die medizinische Daten, die natürlich eine gewisse Fehlerquelle haben, nervös machen. Von einigen bekommen wir sehr viele Mails mit ihren gesammelten Daten und ängstlichen Fragen. Ein Patient von uns hat sich bei gutem Befinden mal in der Notaufnahme vorgestellt, weil sein Smartphone ein EKG nicht sicher auswerten konnte. Aber das ist die Ausnahme. Die meisten Patienten, die sich dafür interessieren und es einsetzten, haben da wenig Probleme. Hier führt es zu einer verbesserten Compliance und kann wichtige Daten für die Diagnostik und Therapie des Patienten liefern.

Das Selbstmonitoring sollte ja langfristig zu mehr Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit führen. Spüren Sie in der eigenen Praxis schon einen Trend zur präventiven Medizin?

Da würden wir uns noch deutlich mehr Selbstverantwortung wünschen. Aber dennoch nimmt der Präventionswunsch erfreulicherweise unabhängig von Gesundheitsapps deutlich zu. Und hierfür werden die verschiedenen Möglichkeiten des Selbstmonitorings vielfältig genutzt: Zur Blutdruckdokumentation, Gewichtsdokumentation, Bewegungsumfänge etc.

In Deutschland sind wir gerade in den ländlichen Gebieten unterversorgt. Wie könnte Telemedizin in der Kardiologie zur Verbesserung der Versorgung beitragen?

Viele Bereiche der Medizin wie z.B die Radiologie können durch Telemedizin unterversorgte Gebiete deutlich verbessern. Auch EKGs können gut aus der Ferne besprochen werden. Ein Patient schickt mir aus Afrika regelmäßig EKG zur Therapieanpassung seiner Herzrhythmusstörungen. Bei einem Alterssportler, der auf vielen Wettkämpfen unterwegs ist, konnten wir durch ein mit seiner „Applewatch“ aufgezeichntene EKG ein Vorhofflimmern diagnostizieren. Dadurch können wir ihn jetzt besser vor einem Schlaganfall schützen! Wir testen in unserem Ärztenetz auch das Telekonsil für spezielle Fragestellung. Auch das ist teilweise sehr erfolgreich.

Die ePatientenakte soll anonymisiert bzw. pseudonymisiert Daten zu Forschungszwecken sammeln. Welche Erwartungen knüpfen Sie persönlich an diese Daten?

Die wichtigste Voraussetzung einer erfolgreichen ePatientenakte ist die Sicherheitsfrage. Wenn das funktioniert ist diese extrem hilfreich. Damit hat der Patient und wir als Ärzte einen guten Zugriff auf wichtigen Vorbefunde, aktuelle Medikation und weitere wichtige Informationen. Man ist immer wieder erstaunt, wie unklar z.B. teilweise die eingenommene Medikation bei den Patienten ist.

Die Medizin wird  immer mehr zu einer Datendisziplin. Wie schafft man es in der Datenflut die richtigen Daten zu selektieren. Ist das die Aufgabe des Mediziners oder helfen da schon KIs.

Es geht ja nicht nur um die Datenmenge, sondern auch um die Qualität der erhobenen Daten. Daher brauchen wir weiter Fachleute, die eine Auswahl treffen. Daher gibt es dann z.B Leitlinien, die die Daten zu generellen Empfehlungen machen. Für die Auswertung wird dann aber die künstliche Intelligenz zugezogen.

Verdachtsdiagnosen

Verdachtsdiagnosen

Welche Rolle können digitale Diagnosetools in der Kardiologie spielen?

Schon jetzt können EKGs digital analysiert werden und es ergeben sich Verdachtsdiagnosen. Teilweise kann durch KI schon eine spezielle Patientengruppe anders bewertet werden. Es gibt z.B. für Leistungssportler einen digitalen Filter bei EKG-Geräten, der bei dieser Gruppe auswertet, ob es ein unauffälliges EKG ist. Das wird jetzt schon für ein schnelles Screening genutzt, auch wenn aktuell noch immer ein Arzt kontrolliert. Noch lassen wir  das Steuer beim automatisierten EKG noch nicht los, aber er wird kommen.

Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass Ärzte mittelfristig gegen KI und Roboter um Arbeitsplätze kämpfen müssen?

Gering, da zu allen Befunden noch das ärztliche Gespräch, das Anschauen und das Untersuchen des Patienten gehört. Die klinische Einschätzung wird weiter der Arzt machen. Wir werden aber besser unterstützt werden und vielleicht auch schneller zu der richtigen Diagnose kommen. Dann haben wir mehr Zeit für das heute zu kurz kommende Gespräch mit den Patienten.

Wie wäre Ihre Vision. Wie sieht die Arbeit des Kardiologen 2040 aus?

Ich bin sicher, wir werden auch 2040 immer noch ein Stethoskop haben und es auch nutzen. Aber wir werden über die eAkte 2040 sofort alle wichtigen Vorinformationen haben. Das EKG wird digital befundet vor uns liegen. Nach Eingeben der Diagnosen werden wir automatisiert Therapievorschläge bekommen. Wir werden untersuchen, mit Stethoskop und ohne Smartphone, mit den Patienten sprechen und die digital vorgeschlagene Diagnostik und Therapie individuell angepasst umsetzen. Wirklich älter werden unsere Patienten aber auch 2040 nicht werden, aber vielleicht ist die Lebensqualität besser. Gesund alt werden wird auch weiter unser Therapieziel 2040 sein.

Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit die digitale Transformation die Medizin menschlicher macht?

Um die Menschen, vor allen kranken, leidenden Menschen, muss sich immer noch ein Mensch kümmern. Das Gespräch mit Ärzten, Pflegekräften und Arzthelfern bei jeden digitalen Einsatz bzw. um jeden digitalen Einsatz herum. Dann kann auch digitale Medizin menschlich bleiben.

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Für heute gibt es wieder eine Whats Next Frage an alle Ärzte und Patienten:

Ist aus Ihrer Sicht das Selbstmonitoring der richtige Schritt auf dem Weg zum verantwortungsbewußten Patienten? Ich bin gespannt.

Herzlichst Ihr Gerd Wirtz
www.facebook.com/Dr.Gerd.Wirtz

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